Die ITF ist unter den internationalen Gewerkschaftsorganisationen insofern einzigartig, als sie Bezahlung und Bedingungen einer spezifischen Gruppe von Beschäftigten in machtvoller Weise beeinflusst – dabei handelt es sich um Seeleute an Bord von Schiffen unter Billigflagge. Mit Hilfe von so genannten Billigflaggen lassen sich arbeitsrechtliche Vorschriften im Land des Reeders umgehen, während sie es gleichzeitig gestatten, lange Arbeitszeiten bei sicherheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen zu erzwingen und dafür niedrige Heuern zu bezahlen. Da Billigflaggenschiffe keine Nationalität im eigentlichen Sinne haben, gehören sie auch nicht zum Organisationsbereich einzelner nationalstaatlicher Seeleutegewerkschaften.
Die ITF hat deshalb auf internationaler Ebene die Rolle übernommen, die traditionell die Gewerkschaften in den einzelnen Ländern ausüben: Besatzungen von Billigflaggenschiffen zu organisieren und in ihrem Namen zu verhandeln. Seit über 60 Jahren führt die ITF in Gestalt der ihr angeschlossenen Gewerkschaften der Seeleute und der Hafenbeschäftigten eine nachdrückliche Kampagne gegen Reeder, die sich auf der Suche nach möglichst billigen Besatzungen und möglichst niedrigen Ausbildungs- und Sicherheitsanforderungen für ihre Schiffe von der Flagge ihres Herkunftslandes verabschieden.
Bei der Definition einer Billigflagge spielt es für die ITF eine entscheidende Rolle, ob die Nationalität des Reeders mit der Nationalität der Flagge identisch ist. 1974 formulierte die ITF die folgende Definition einer Billigflagge: Wenn die nutznießende Eigentümerschaft und Kontrolle eines Schiffes außerhalb des Landes liegt, unter dessen Flagge das betreffende Schiff registriert ist, ist dieses Schiff als ein Billigflaggenschiff zu betrachten.
Die ITF-Kampagne gegen Billigflaggen, offiziell im Rahmen des Weltkongresses 1948 in der norwegischen Hauptstadt Oslo gestartet, wird auf zwei Schienen geführt:
Im Laufe der vergangenen 60 Jahre haben die der ITF angeschlossenen Gewerkschaften im maritimen Sektor eine ganze Reihe politischer Grundsätze entwickelt, mit denen sie annehmbare Mindestnormen für Seeleute an Bord von Billigflaggenschiffen festschreiben wollen. Auf diesen Grundsätzen baut ein ITF-Musterkollektivvertrag auf, der Heuern und Arbeitsbedingungen für alle Besatzungsmitglieder auf Billigflaggenschiffen unabhängig von ihrer Nationalität vorgibt. Im Zusammenhang mit Arbeitskampfmaßnahmen wird Reedern in der Regel nur dieser Vertrag zum Abschluss angeboten. Allen Billigflaggenschiffen mit einem für die ITF annehmbaren Vertrag stellt das ITF-Sekretariat so genannte "ITF Blue Certificates" (Blaue ITF-Karten) aus, die bescheinigen, dass Heuern und Arbeitsbedingungen an Bord von der ITF gebilligt wurden. Etwa ein Drittel aller Billigflaggenschiffe fährt gegenwärtig unter ITF-Verträgen, deren Bestimmungen Seeleuten unmittelbaren Schutz bieten.